Makaberes Spektakel: Die Leichensynode von 897

Rom, Februar 897. Im Lateranpalast sitzt Formosus auf dem Papstthron. Es wird Gericht über ihn gehalten. Man wirft ihm Eidbruch vor, außerdem habe er gegen das Translationsverbot verstoßen. Obwohl bereits Bischof einer anderen Stadt, habe er sich dennoch das Papstamt aus persönlichem Machtstreben angeeignet – ein schweres Vergehen. Der angeklagte Formosus kann sich gegen die Anschuldigungen nicht zur Wehr setzten: Er ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit neun Monaten tot. Wie kam es zu diesem schauerlichen Prozess, der als "Leichensynode" in die Geschichte einging?

"Warum hast du aus Ehrsucht den Apostolischen Stuhl usurpiert, da du doch zuvor Bischof von Portus warst?" Diese Worte soll Papst Stephan VI. dem toten Formosus auf der "Leichensynode" entgegengeschrien haben. Das Gemälde von Jean-Paul Laurens zeigt, wie sich der Künstler im Jahr 1870 die Szene vorstellte. (Quelle: Wikimedia)

Das "dunkle Zeitalter" Roms


Das 9. Jahrhundert wird in der Forschung oft als "dunkles Zeitalter" für Rom und seine Päpste gesehen: Machtkämpfe der adligen Stadtbevölkerung, Bedrohung durch die Sarazenen und ein schwaches fränkisches Königtum, das sich nicht länger als Schutzmacht für die Päpste behaupten kann, sorgen für Unruhe in der Ewigen Stadt.

Aufgrund der vermeintlichen Exzesse und Eskapaden in den Gemächern der Geistlichen wurde die Zeit des ausgehenden 9. Jahrhunderts von manchen Historikern (in starker Übertreibung) sogar als "Pornokratie" bezeichnet.

Der Papst im Sog der Machtkämpfe


Die Franken, die seit Karl dem Großen und seinem Vater Pippin eine Schutzfunktion für die Päpste übernommen hatten, konnten sie bei der Abwehr der Araber, die bereits 846 Rom erstürmt hatten, nicht unterstützen. Papst Stephan V. (885-891) suchte 890 gegen die Sarazenen Hilfe bei Arnulf, dem fränkischen König, der jedoch nicht zur Unterstützung bereit war. Der Pontifex wandte sich stattdessen an Herzog Wido von Spoleto, den er als Gegenleistung für seinen Schutz am 21. Februar 891 zum Kaiser krönte.

Widos Sohn Lambert krönte Stephans Nachfolger Formosus (891-896) widerwillig 892 zum Mitkaiser. Die Päpste hatten nun mit dem Kaiser aus dem Haus Spoleto einen bedeutenden Machtfaktor direkt vor ihrer Tür, und auch in Rom selbst waren die Spoletiner sehr einflussreich. Daher bemühte sich Formosus während seines Pontifikates wieder um Annäherung an Arnulf, den er aufforderte, über die Alpen zu kommen und sich gegen Lambert als Kaiser durchzusetzen.

Zuvor musste Formosus aber noch den ehrgeizigen Lambert im Jahr 894 zum Kaiser krönen, nachdem dessen Vater Wido verstorben war. Die Gesandtschaften des Formosus an Arnulf schürten das Misstrauen der Spoletiner, die ja nun mit Lambert selbst den Kaiser stellten und keine Einmischung aus dem Norden duldeten. Formosus befand sich zwischen den Stühlen: Er hatte Lambert zum Kaiser gekrönt, sah in dessen Ehrgeiz jedoch eine Gefahr für Rom. Er erhoffte sich daher Unterstützung vom entfernten Frankenkönig Arnulf.

Formosus krönt einen zweiten Kaiser


Arnulf kam auf Formosus' Ersuchen 895 über die Alpen, um sich selbst das Kaisertum anzueignen und Lambert zu beseitigen. Rom wurde von der Partei der Spoletiner gehalten, sodass Arnulf die Stadt erobern musste. Er befreite auch den Papst, der sich vor den Belagerern in der Engelsburg verschanzt hatte. Zum Dank für sein Einschreiten krönte Formosus Arnulf im Februar 896 in St. Peter zum Kaiser – und erklärte die vorangegangene Wahl des Lambert damit als nichtig.

Arnulf plante hernach einen Zug nach Spoleto, um die Partei Lamberts endgültig zu besiegen, doch machte ihm eine plötzliche Krankheit einen strich durch die Rechnung: Er musste umkehren und zog nach Deutschland. Am 4. April 896 starb auch Papst Formosus hochbetagt. Damit entwich er der Gefahr, die nun, nach dem Rückzug seines Beschützers Arnulf, vonseiten des Lambert von Spoleto zu erwarten war.

Die Konsequenzen seines Lavierens zwischen den Parteien sollten freilich erst nach seinem Tode Wirkung zeitigen.

Der neue Papst wechselt die Seiten


Nach seinem Tod brach erneut Chaos in Rom aus: Die Adelsfamilien erhoben Päpste, die sich nur kurz im Amt halten konnten und oftmals Mordanschlägen zum Opfer fielen. Erst mit Stephan VI. wurde von der spoletinischen Partei ein Papst emporgehoben, der sich entschieden gegen die Linie seines Vorgängers Formosus wandte. Stephan VI. stand auf der Seite Lamberts.

Um seine Treue zu Lambert und der spoletinischen Partei zu demonstrieren, und auch, um sich damit gegen Arnulf und die Anhänger des Formosus zu stellen, inszenierte Stephan VI. eine der wohl schaurigsten Episoden der Papstgeschichte.

Dem Toten wird der Prozess gemacht


Im Februar 897 kam Lambert nach Rom, der sich jetzt wieder als Kaiser präsentieren konnte. Man hatte die verwesende Leiche des Formosus aus der Gruft geholt, sie mit dem päpstlichen Ornat bekleidet und sie auf den Papstthron gesetzt. Kardinäle, Bischöfe sowie Papst Stephan VI. und Kaiser Lambert versammelten sich, um über den Leichnam Gericht zu halten.

Dem Toten wurde ein Diakon als Verteidiger zur Seite gestellt, der das Urteil natürlich nicht abwenden konnte: Weil Formosus Bischof von Porto gewesen war, hätte er nicht Bischof von Rom, also Papst, werden können. Denn fest und lebenslänglich wie eine Ehe sollte die Verbindung zwischen dem Bischof und seiner Diözese sein: nicht umsonst trug der Bischof den Ring als Zeichen seiner Amtswürde. Einzige Ausnahme, das Bistum zu verlassen, war eine Notsituation (necessitas), beispielsweise bei unmittelbarer Bedrohung. Formosus aber habe sich das Papsttum aus Machtgier angemaßt.

Er hatte zu Lebzeiten eine Reihe Geistlicher Ordiniert, die damit ihre Legitimation verloren. Auch das ein Grund für Lambert und Stephan, Formosus postum zu verurteilen. Die Partei des Formosus wurde durch das Urteil erheblich geschwächt.

Leichenschändung


Um das Urteil auch symbolisch und öffentlichkeitswirksam zu untermauern, riss man dem Leichnam die päpstlichen Gewänder herunter und schnitt ihm zwei Finger der rechten Hand ab. Mit diesen Fingern hatte er als Papst den Segnungsgestus vollzogen. Man packte den Toten, schleifte ihn aus der Basilika durch die Straßen Roms, um ihn schließlich in den Tiber zu schmeißen.

Kurz darauf stürzte die Decke der Lateranbasilika ein: Das abergläubische Volk sah darin eine Gottesstrafe für die Leichenschändung. 

Die Leiche des Formosus wurde in den Tiber geworfen. (Quelle: Wikimedia)


Der Ankläger nimmt ein schlimmes Ende


Papst Stephan VI. konnte sich über seinen Erfolg nicht lange freuen. Noch im Herbst des Jahres 897 spürte er die Rache einiger Anhänger der Formosus, und auch das römische Volk begehrte wegen der Leichenschändung gegen ihn auf. Man griff Stephan im Lateran auf und warf ihn in den Kerker. Der Initiator der Leichensynode, die im Lateinischen auch synodus horrenda, (schreckliche Synode) genannt wurde, fiel einem Mordanschlag zum Opfer: Er wurde in seiner Kerkerzelle erdrosselt.

Literatur


Gregorovius, Ferdinand: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Band I,2. Neudruck, 2. Aufl. München 1988.
Herbers, Klaus: Geschichte des Papsttums im Mittelalter. Darmstadt 2012.
Schimmelpfennig, Bernhard: Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance. 6. Aufl. Darmstadt 2009.

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