Die bevormundete Frau: Ehe im Mittelalter

Die Ehe war im Mittelalter eine recht pragmatische Angelegenheit. Man heiratete in aller Regel nicht aus persönlicher Zuneigung, sondern die Familien bestimmten über die Wahl des Partners. Dadurch wurden soziale oder wirtschaftliche Verbindungen zwischen zwei Sippen geknüpft. Die meisten mittelalterlichen Ehen könnte man also als "arrangiert" bezeichnen.

Mittelalterliches Brautpaar, Gemälde um 1470.

Wann konnte man heiraten?

Meist bestand ein großer Altersunterschied zwischen den Verlobten: Junge Mädchen heirateten einen zehn oder fünfzehn Jahre älteren Mann. Folglich übernahm der Mann zugleich eine Art Vaterfigur, denn er brachte deutlich mehr Erfahrung und Reife in die Beziehung. Gemäß kanonischem Recht lag das heiratsfähige Alter für Mädchen bei 12, für Jungen bei 14 Jahren.

Die Familien bemühten sich um eine frühe Verheiratung der Mädchen, um sie nicht länger unterhalten zu müssen. Sie wurden als Kostenfaktor angesehen und trugen nur unerheblich zur wirtschaftlichen Tätigkeit der Familie bei. Im Durchschnitt heirateten Männer etwa mit 20 bis 24 Jahren, während das Alter bei Frauen bei 14 bis 16 Jahren lag.

Die Hochzeit

Mit der Heirat (nuptia) wurde die Verbindung der beiden Familien möglichst einprägsam und öffentlich inszeniert. Die Hochzeit war daher ein Grund zum Feiern: Gäste wurden eingeladen, es gab reichlich zu Essen und zu Trinken, man organisierte Gaukler.

Die Braut trug im Mittelalter übrigens noch nicht Weiß, sondern Rot oder andere bunte Farben. Bei der Hochzeit legte der Brautvater die Hand seiner Tochter in die des Ehemannes: Er übergab die Braut damit aus seiner "Munt" in die des Ehemannes, übertrug ihm also die Vormundschaft.

Die Eheleute sprachen die verba de presenti, womit sie sich zu den ehelichen Pflichten und Geboten bekannten und einander Treue versprachen. Damit gaben sie der Hochzeit zugleich ihre Einwilligung: nun war - jedenfalls theoretisch - die letzte Möglichkeit die Hochzeit zu verweigern. Der Brauch sich Eheringe an die Finger zu stecken, stammt noch aus römischer Zeit und wurde auch im Mittelalter praktiziert. 

Vor der Hochzeitsnacht wurde das Ehebett von einem Priester gesegnet. Die Braut wurde von erfahreneren Damen ausgezogen. Auch war es lange üblich, dass sich eine der Damen während der Hochzeitsnacht im Zimmer aufhielt, um den rechtmäßigen Vollzug der Ehe zu bezeugen.

Die Beziehung der Ehepartner zueinander

Der Mann hatte in der Ehe das Sagen: Die Frau stand unter seiner "Munt". Der Begriff bedeutet so viel wie Schutz. Von ihm leitet sich das moderne Wort der Vormundschaft ab. Von der Frau erwartete man bedingungslose Treue, während man beim Mann etwas nachsichtiger war, was außereheliche Kontakte anging. Doch auch diese wurden von kirchlicher Seite geahndet.

Die Position der Frau innerhalb der Ehegemeinschaft war zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht wohl nicht so schlecht, wie lange angenommen. Ihre Rechte innerhalb der Ehe waren jedoch sehr beschränkt. Von einer "Emanzipationsbewegung" kann man für das Mittelalter nicht sprechen.

Fremdgehen tabu!

Es überrascht kaum, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen außereheliche Freuden suchten. Jedenfalls tadelten immer wieder vor allem geistliche Gelehrte die Unkeuschheit der Frauen. Die Kirche ließ kein gutes Haar an derartigen Zügellosigkeiten und versuchte, mit Bußstrafen dagegen vorzugehen. Dennoch war Untreue in der Ehe auch im Mittelalter (wie in allen Zeiten) verbreitet.

Gerade die Reichen und Mächtigen - natürlich nur die Männer! - unterhielten oft Beziehungen zu mehreren Nebenfrauen, mit denen sie auch Kinder zeugten. Der kirchliche Einfluss, das Sakrament der Ehe, zu dem die Treue gehörte, zu wahren, wurde im Adel nicht sonderlich ernst genommen. So ist nicht nur von Karl dem Großen bekannt, dass er, obwohl tief gläubig, ein reges Konkubinat unterhielt.

Der Einfluss der Kirche

Maßgeblich unter kirchlichem Einfluss setzte sich im Hochmittelalter die Vorstellung durch, dass beide Eheleute der Verbindung zustimmen mussten - die Grundlage des noch heute geläufigen Jawortes. Doch gerade von den Frauen wurde verlangt, dass sie sich der maßgeblich von der Familie gefällten Entscheidung fügten. Eine wirkliche Wahl, wen sie heiraten wollten, hatten sie in der Regel nicht. Vor allem beim Adel folgten die Eheschließungen politischen und dynastischen Erwägungen. So kam es nicht selten vor, dass zwei einander völlig fremde Personen heirateten.

Die Kirche sorgte sich ferner darum, dass keine Ehen zwischen zu nahen Verwandten geschlossen wurden. Wahrscheinlich wollte die Kirche damit verhindern, dass mächtige Adelsfamilien so ihren Besitz innerhalb der Familie anhäufen konnten. Im Frühmittelalter waren Hochzeiten von Verwandten bis zum siebten Grad verboten, worunter alle Nachkommen eines gemeinsamen Urgroßvaters fielen.

Diese recht strenge Auslegung von zu naher Verwandtschaft ist in der Praxis jedoch oft umgangen worden, beispielsweise, wenn der Priester über den Verwandtschaftsgrad nicht hinreichend aufgeklärt wurde. Das vierte Laterankonzil lockerte daher 1215 die Bestimmung und erlaubte künftig Eheschließungen bis zum vierten Verwandtschaftsgrad.
Die Arnolfini-Hochzeit, Jan van Eyck (1434). Quelle: Wikipedia

Sex bitte in Maßen

Die Kirche sorgte sich auch um die Einhaltung der Moral innerhalb der Ehe. Außerehelicher Geschlechtsverkehr wurde als Brechung des Ehesakraments verurteilt und mit Bußstrafen belegt. Als absolutes Ideal galt der Kirche die Enthaltsamkeit und Keuschheit: Das bedeutete, dass man sich bitte auch innerhalb der Ehe nicht allzu frivol miteinander vergnügen sollte.

Der Geschlechtsverkehr sollte schließlich nicht zum Spaß, sondern zur Zeugung von Nachkommen ausgeübt werden. Auch vor der Ehe erwartete die Kirche Keuschheit. Idealerweise gingen beide Ehepartner jungfräulich in die Ehe.

Die ideale Lebensform bestand aus kirchlicher Sicht in der geistlichen Laufbahn, etwa im Kloster, und dem damit verbundenen Zölibat. Die höchste Tugend war die selbstgewählte Jungfräulichkeit - die Keuschheit innerhalb einer Ordensgemeinschaft. Die Ehe stand - so könnte man sagen - was die moralische Vertretbarkeit anging auf der zweiten Stufe.

Die Ehescheidung

Da die Ehe als heiliges Sakrament galt, war eine Scheidung eigentlich unmöglich. War man der Ehe dennoch überdrüssig, so musste man schon einen triftigen Grund vorbringen. Häufig ließen sich Ehepaare aufgrund zu naher Verwandtschaft (die man natürlich erst im Nachhinein festgestellt hatte) eine sondererlaubnis zur Scheidung geben.

Auch machte die Kirche vom Scheidungsverbot eine Ausnahme, wenn die Frau unfruchtbar blieb. Wurden keine Kinder gezeugt, so suchte man die Schuld dafür meist bei der ihr. Der Mann hatte dann das Recht, sie zu verstoßen, was jedoch nur selten in Anspruch genommen wurde.

Literatur

Fossier, Robert: Das Leben im Mittelalter. 8. Aufl. München 2014.
Goetz, Hans-Werner: Leben im Mittelalter vom 7. bis zum 13. Jahrhundert. 7. Aufl. München 2002.
Verdon, Jean: Irdische Lust. Liebe, Sex und Sinnlichkeit im Mittelalter. Darmstadt 2011.



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