Heinrich der Löwe im Exil

Heinrich der Löwe aus dem altehrwürdigen Geschlecht der Welfen gehört sicherlich zu den prominentesten Gestalten der Stauferzeit. Als Herzog gebot er über gleich zwei Herzogtümer, Bayern und Sachsen, und war damit der mächtigste Fürst seiner Zeit. Sein Vetter war der deutsche Kaiser Friedrich Barbarossa, den er anfangs unterstützte. Doch die beiden entzweiten sich: Heinrich verlor seine Macht, sein Ansehen – und seine Kinder. In diesem Blog-Artikel geht es um den spektakulären Sturz und das tragische Exil Heinrichs des Löwen.

Der Fußfall von Chiavenna 1176


Das Schlüsselereignis für die Entmachtung Heinrichs des Löwen ist der so genannte ''Fußfall von Chiavenna'' des Jahres 1176. In Chiavenna, nördlich des Comer Sees, treffen sich Heinrich der Löwe und Friedrich Barbarossa, der Kaiser aus dem Geschlecht der Staufer. Barbarossa bittet seinen Vetter Heinrich um Waffenhilfe in Italien. Er will endlich die verhasste Stadt Alessandria in die Knie zwingen, die nach seinem erbitterten Widersacher Papst Alexander III. benannt ist.

Der angebliche Fußfall von Chiavenna wurde in der Sächsischen Weltchronik aus dem späten 13. Jahrhundert künstlerisch festgehalten. Dass Heinrich der Löwe hier hoch zu Ross dargestellt ist, unterstreich zusätzlich die unterwürfige Position des bittenden Kaisers Friedrich Barbarossa. (Quelle: Wikimedia)

Doch dann geschieht das Ungeheuerliche: Der Herzog und Vasall des Kaisers verweigert sich. Er knüpft die militärische Hilfe an unerfüllbare Bedingungen. Angeblich soll der Kaiser in Chiavenna den Herzog auf Knien angefleht haben – eine unverzeiliche Kränkung seiner Ehre.

Barbarossa musste also ohne Heinrichs Hilfe gegen die widerständigen Lombarden ziehen. Noch im selben Jahr 1176 unterlag der Staufer in der Entscheidungsschlacht von Legnao gegen die städtischen Aufgebote der Italiener. Ein Jahr später schloss Barbarossa notgedrungen in Venedig einen Frieden mit dem Papst und den lombardischen Städten.

Barbarossa sinnt auf Vergeltung


Zurück in Deutschland leitete der Kaiser den Prozess gegen den Löwen ein. Er lud ihn 1179 nacheinander zu drei Hoftagen vor – doch der stolze Herzog ließ sich nicht blicken. Gerade die Weigerung, sich auf den Hoftagen zu verantworten, bedeutete eine neuerliche Kränkung der kaiserlichen Ehre und vertiefte den Graben zwischen Heinrich und Barbarossa.

Auf weiteren Hoftagen in Kayna (heutiges Sachsen-Anhalt) und Würzburg wurde wegen seiner Säumnis die Friedlosigkeit über Heinrich gesprochen. Er war damit geächtet und durfte straflos von jedermann getötet werden. Seine beiden Herzogtümer wurden ihm abgesprochen und ein Krieg gegen ihn angeordnet. Diesen führten die anderen Reichsfürsten mit Vergnügen, fanden sich doch genügend Profiteure, die sich aus dem Sturz des allzumächtigen Herzogs eigene Vorteile versprachen. Heinrichs Stadt Lübeck wurde belagert, er selbst musste sich geschlagen in Stade verschanzen.

Der Löwe wird gezähmt


Der Löwe musste sich schließlich beugen: Auf dem Hoftag in Erfurt 1181 trat der besiegte und erniedrigte Herzog dem Kaiser unter die Augen. Die Demütigung Heinrichs und auch den Einfluss der Fürsten auf die Entscheidung Barbarossas schildert der Lübecker Geschichtsschreiber Arnold:
Der Herzog [...] übergab sich vollständig der Gnade des Kaisers und warf sich ihm zu Füßen. Der hob ihn vom Boden auf und küßte ihn nicht ohne Tränen, weil ein solcher Gegensatz zwischen ihnen so lange gedauert habe und er [Heinrich] selbst der Grund einer solchen Erniedrigung gewesen sei. Ob die Tränen wahrhaftig waren, steht zu bezweifeln. Denn er scheint sich nicht wirklich über ihn erbarmt zu haben, weil er ihn nicht in den Stand früherer Ehre zu bringen versuchte. Allerdings konnte er das im Moment wegen eines Eides auch gar nicht tun. Zuvor, als alle Fürsten auf seine Absetzung drängten, schwor ihnen der Kaiser beim Thron seiner Herrschaft, daß er ihn niemals in seine frühere Position einsetzen werde, wenn nicht das Einverständnis aller vorläge.“ (Zit. nach Görich, Jäger, S. 110)
Arnold von Lübeck nimmt eine positive Haltung zu Heinrich dem Löwen ein. Er verdeutlicht, dass die Entscheidung für dessen Sturz zwar primär vom Kaiser kam, dieser jedoch auch in hohem Maße von den Fürsten beeinflusst wurde. Ihnen ist ihr Konkurrent zu mächtig geworden und sie sahen in der Angelegenheit nun eine willkommene Möglichkeit ihn auszuschalten.

Heinrich geht ins Exil


Die Fürsten und der Kaiser beschlossen in Erfurt, dass Heinrich sich nur durch ein Exil von der Acht lösen könne. Er sollte das Reich für mehrere Jahre verlassen, um somit in die politische Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Wir werden sehen, dass dies nicht der einzige Aderlass war, den Heinrich mit dem Exil bevorstand. Über die vorgesehene Dauer der Verbannung machen die Quellen unterschiedliche Angaben: einige sprechen von drei, andere von sieben Jahren. Jedenfalls oblag es dem Kaiser Barbarossa, das Exil vorzeitig zu beenden.

Heinrich ging Ende Juli 1182 zu seinem Schwiegervater (und Namensvetter) Heinrich II., dem König von England. Er entstammte dem Geschlecht der Anjou-Plantagenêt und war der Vater des berühmten Richard Löwenherz. Heinrich der Löwe hatte einst dessen Schwester Mathilde geheiratet, sodass die Aufnahme quasi eine Familienangelegenheit war.

Die Anjou-Plantagenêt verfügten über Besitzungen nicht nur in England, sondern auch in Frankreich. So reiste Heinrich der Löwe zu seinem Gastgeber in die Normandie. Begleitet wurde er von seiner Gemahlin, der Königstochter Mathilde, sowie von dreien seiner Kinder: der zehnjährigen Richenza (die am englischen Hof den Namen Mathilde erhielt), sowie seinen neun und fünfjährigen Söhnen Heinrich und Otto. Ein Gefolge von Adeligen begleitete die Familie. Ein weiterer Sohn Heinrichs, Lothar, verblieb – wahrscheinlich als Geisel des Kaisers – im Reich.

Der englische König führte in Frankreich Krieg gegen seine Söhne, darunter Richard Löwenherz, sowie gegen aufständische Adlige. Der verbannte Herzog traf seinen Schwiegervater auf der Burg Chinon unweit der Loiremündung, wo der Exilierte äußerst ehrenvoll und standesgemäß empfangen wurde. Die Aufnahme des gestürzten Herzogs sah der englische König als Familienangelegenheit an, war seine Tochter Mathilde doch die Ehefrau des Löwen. Für den König war es zudem durchaus prestigeträchtig, den einst mächtigen Herzog zu seinem Gefolge zählen zu können.

Kurz nach seiner Aufnahme entließ Heinrich der Löwe einen Großteil des Gefolges: sie durften wieder nach Deutschland reisen. Heinrich II. dürfte dies begrüßt haben, bedeutete die Aufnahme des anspruchsvollen Exilierten doch eine große Belastung für seine Staatskasse. Den Preis für die Gastung sollte Heinrich der Löwe freilich auf schmerzliche Weise begleichen.

Im Herbst 1182 machte Heinrich eine Pilgerfahrt zum schon damals sehr populären Wallfahrtsort Santiago de Compostela, die wohl im Rahmen seines Exils als Bußübung vorgesehen war. Seine Frau Mathilde blieb derweil in der Normandie zurück. In der Abwesenheit des Gatten dichtete der Adlige Bertran de Born einige Lieder für die Ehefrau Mathilde, in denen er sie mit Helena verglich, der schönsten Frau der antiken Sage.
Pilger in einer mittelalterlichen Handschrift. Wallfahrten wurden oft als Bußleistungen unternommen, so auch von Heinrich dem Löwen. (Quelle: British Library, Additional 28681 f. 54).

Der Pilger Heinrich kam spätestens im Dezember 1182 aus Santiago zurück und verweilte das gesamte Jahr 1183 mit seiner Familie am Königshof in der Normandie. 1184 wagte er einen ersten Versuch, das Exil zu beenden: Er reiste zum großen Hoffest, das Barbarossa über Pfingsten in Mainz veranstaltete. Mit einem Gesandten des englischen Königs als Begleitung versuchte der Löwe auf dem Fest, den Kaiser um eine Rückerstattung seines sächsischen Herzogtums zu bitten: doch vergeblich.

Nach dem erfolglosen Versuch, in alte Gnaden zurückzukehren und das Exil beenden zu dürfen, segelte Heinrich der Löwe erstmals nach England, wo sich sein Schwiegervater im Sommer 1184 aufhielt.

Der Braunschweiger Löwe. Das Wappentier Heinrichs. (Quelle: Wikimedia, User:Brunswyk).

Die Rückkehr Heinrichs des Löwen


Ende des Jahres schließlich spielte der Englische König seinen letzten Trumpf aus: Er schickte eine Gesandtschaft an Papst Lucius III., um diesen als Vermittler beim Kaiser zu gewinnen. Und tatsächlich: Barbarossa, der sich so lange hart gegen Heinrich gezeigt hatte, ließ sich durch die diplomatische Intervention des Papstes erweichen. Er gestattete dem gestürzten Herzog die Rückkehr ins Reich. Aus unbekannten Gründen blieb Heinrich der Löwe jedoch den Winter 1184/85 in seinem Exil und vertrieb sich die Zeit bei der gemeinsamen Jagd mit seinem Schwiegervater.

Erst im April 1185 kam der Herzog mit seiner Familie zurück in die Normandie. Am Michaelstag (29.09.) reiste Heinrich mit seiner Gemahlin und dem ältesten Sohn Heinrich endlich zurück nach Deutschland in seine geliebte Residenz Braunschweig. Sein Exil war beendet. Politisch war Heinrich, der einst mächtigste Herzog des Reiches, nunmehr ein unbedeutender Habenichts.

Die verlorenen Kinder


Doch was war mit den übrigen Kindern? Dies ist wohl das tragischste Kapitel in der Geschichte des Sturzes Heinrichs des Löwen. Seine beiden Kinder Otto und Mathilde blieben in der Obhut des englischen Königs: Er sah in ihnen Mitglieder der Familie Anjou-Plantagenêt, die er nach seinen Vorstellungen gewinnbringend verheiraten und in die politischen Ambitionen der Familie einbinden wollte. Sie waren der Preis, den Heinrich der Löwe für die Aufnahme am englischen Königshof zu zahlen hatte. Der Löwe konnte auf die Heiratspläne keinen Einfluss mehr nehmen.

Die zwölfjährige Mathilde wurde 1184 von Wilhelm von Schottland umworben. Mit der Bitte sie heiraten zu dürfen, wandte er sich wie selbstverständlich nicht an ihren Vater, sondern an den englischen König Heinrich II. Wegen zu naher Verwandtschaft kam die Ehe jedoch nicht zu Stande, denn die beiden hatten einen gemeinsamen Urgroßvater. (Aufmerksame Leser dieses Blogs wissen natürlich, dass Ehen in dieser Zeit bis zum 7. Verwandtschaftsgrad nicht zulässig waren).

Zwei Jahre später warb der ungarische König Bela III. um die Vierzehnjährige, doch hielt Heinrich die Gesandten so lange hin, bis der Ungar die Lust am Projekt verlor.

Im Sommer 1189 war es dann schließlich soweit: Heinrich II. war bereits gestorben, sodass sein Sohn Richard Löwenherz die Heiratspläne schmiedete. Mathilde heiratete den Grafen Gottfried von Perche, das im Norden Frankreichs liegt – politische Ambitionen spielten bei der Verbindung die tragende Rolle.

Auch des kleinen Ottos nahm sich Richard Löwenherz an. Im Jahr 1190 machte er den etwa Zwölfjährigen zum Grafen von York, doch stieß er mit dieser Maßnahme auf starken Widerstand des Adels. Kurzerhand übertrug er ihm stattdessen die Grafschaft La Marche östlich des Poitou.

Statue im Braunschweiger Dom, die entweder Heinrich den Löwen oder seinen Sohn Otto zeigt. (Quelle: Wikimedia)

Scheinbar hielt Richard Löwenherz große Stücke auf seinen Neffen Otto, denn er schlug ihn im Februar 1196 in Chinon zum Ritter und übertrug ihm die Grafschaft Poitou. Der zwanzigjährige Graf erhielt damit eine bedeutende Machtgrundlage – er wurde quasi zum Stellvertreter des Königs auf dem Festland.

Richard selbst war kinderlos, sodass er in Otto einen Sohn und Nachfolger sah. Richards finanzieller Aufwand war es schließlich, der die Wahl Ottos zum König des Heiligen Römischen Reiches 1198 ermöglichte. Der Vater, Heinrich der Löwe, hatte alles Verloren, doch gewann der Sohn Otto mit Hilfe seines englischen Förderers das deutsche Königtum und wurde 1209 sogar Kaiser.

Heinrich der Löwe freilich erlebte diesen Erfolg nicht mehr mit: Er war bereits am 6. August 1195 in Braunschweig gestorben. Seine beiden Kinder hatte er nicht mehr wiedergesehen.

Literatur


Ehlers, Joachim: Exil. Heinrich der Löwe und das Haus Plantagenêt 1182-1185. In: Clemens, Lukas / Hirbodian, Sigrid (Hgg.): Christliches und jüdisches Europa im Mittelalter. Kolloquium zu Ehren von Alfred Haverkamp. Trier 2011, S. 71-81.
Görich, Knut: Die Staufer. Herrscher und Reich. München 2006.
Görich, Knut: Jäger des Löwen oder Getriebener der Fürsten? Friedrich Barbarossa und die Entmachtung Heinrichs des Löwen. In: Hechberger, Werner / Schuler, Florian (Hgg.): Staufer & Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter. Regensburg 2009, S. 99-117.
Poole, Austin Lane: Die Welfen in der Verbannung. In: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters, Bd. 2 (1938), S. 129-148.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die bevormundete Frau: Ehe im Mittelalter

Die Bildungsreform Karls des Großen